Humboldt-Universität zu Berlin - Collaborative Research Center for Theoretical Biology

Hochfrequente (600 Hz) Komponenten im nicht-invasiven Primaten-EEG: Analyse und Modellierung der Submillisekunden-Kohärenz kortikaler Reizevozierter 'population spike bursts'

Gehirne verarbeiten Umwelt-Reize im ‚single-trial’ Modus, und entsprechend sollte auch die Hirnphysiologie des Menschen im ‚single-trail’ Modus untersucht werden. Hierzu wurde in der ersten Förderperiode die Wechselwirkung zwischen Reizantworten im primären somatosensorischen Kortex (S-I) und dem momentanen regionalen 10 Hz µ-Rhythmus analysiert: Nach starken N. medianus Reizen erwiesen sich kortikale somatosensibel evozierte Potentiale (SEP) früher Latenz (< 60 ms) als robust gegenüber Amplitude und Phasenlage des lokalen µ-Rhythmus. Komplementär hierzu zeigte sich auch die post-Stimulus Perturbation des µ-Rhythmus (‚Event-Related Desynchronisation’, ERD) als invariant gegenüber seiner Amplitude und Phasenlage zum Zeitpunkt der Reizapplikation. Ein hieraus abgeleitetes ERD-Modell bewährte sich in einem international ausgeschriebenen benchmarking als bester Algorithmus zur online single-trial Klassifikation unilateraler imaginierter Handbewegungen. Ferner wurden erste Auswertungen von simultanen EEG- und Einzelzell-Ableitungen im S-I Kortex wacher Affen publiziert, die zeigen, dass die auch im Makro-EEG des Menschen nachweisbaren 600 Hz SEP-Komponenten partiell durch hochsynchronisierte kortikale ‚population spike bursts’ generiert werden.

Diese Vorarbeiten ermöglichen für die zweite Förderphase eine weittere thematische Konvergenz mit den übrigen neurobiologischen Teilprojekten im SFB 618, die mittels Einzelzell-Ableitungen u.a. auch die Charakteristika von Spike-Bursts untersuchen. Im Teilprojekt B4 soll deshalb nun - speziesvergleichend für Affen- und Humandaten – die Beziehung zwischen Brust-Reizantworten und Amplitude bzw. Phasenlage regionaler EEG-Frequenzbänder untersucht werden. Insbesondere soll der Einfluss des momentanen Makro-EEGs auf die Zeitstruktur einzelner zellulärer Burst-Reizantworten mittels verschiedener Klassifikationsverfahren analysiert werden. Durch Analyse von Doppelreiz-Studien sollen darüber hinaus Komponenten des 600 Hz SEP-Bursts mit unterschiedlicher Refraktärität funktionell identifiziert werden.

Experimentell sind die Fortführung kombinierter Einzelzell-EEG Messungen beim wachen Affen (in Kooperation mit Dr. Stuart Baker, Newcastle-upon-Tyne) sowie intrakranielle EEG-Ableitungen bei Patienten während der präoperativen Epilepsie-Diagnostik (Berlin) vorgesehen.

Datenanalytisch gilt es zum Einen raum-zeitliche Maße zu entwickeln, welche die Zusammenhänge zwischen Makro-EEG und Einzelzellantworten widerspiegeln. Als Grundlage hierfür sollen neben klassischen Maßen, wie z.B. Mutual Information, auch neu zu entwickelnde nicht-stationäre, nicht-lineare und konvolutive Informationsmaße auf Basis von Regressionsansätzen, Quellentrennungsverfahren und Zeitreihensegmentationsanalysen dienen. Zum Anderen sollen die Burst-Generation beeinflussende Faktoren extrahiert werden. Im Fall der Amplituden bzw. Phasenlage der lokalen Frequenzbänder kann dies u.a. mittels Wavelet- oder Hilbert-Transformation des EEGs erfolgen. Allgemein sollen darüber hinaus auch datengetriebene/modellfreie Verfahren zur Merkmalsextraktion untersucht werden, insbesondere Methoden der linearen/nicht-linearen Independent Componenet Analysis (ICA) und Verfahren zur zeitlichen Segmentation des EEGs in stationäre Abschnitte. Um eine Kategorisierung der unterschiedlichen Burst-Reizantworten bzw. der extrahierten Faktoren in den verschiedenen Merkmalsräumen zu erzielen, sollen anschließend Verfahren der unüberwachten und überwachten Klassifikation/Regression (z.B. Clustering, Maximum Noise Fraction, SVM, LDA) auf Basis geeignet definierter Metriken bzw. Ähnlichkeitsmaße eingesetzt werden.

Auf der Grundlage der jeweiligen Ergebnisse (u.a. zeitliche Ankopllung der Bursts an externe Stimuli und interne Zustände, Interspike-Intervall Verteilungen) sollen begleitend mathematische Modelle zur Beschreibung der Burstdynamik aufgestellt werden. Damit sollte es möglich sein, spezifische Charakteristika der untersuchten ‚population bursts’ im Vergleich mit single-cell Burstphänomenen beim wachen Affen sowie auch bei den anderen im SFB bearbeiteten neuronalen Systemen (Heuschrecke, Katze, Ratte, Grille) zu identifizieren und mögliche biophysikalische Mechanismen einzugrenzen.

Zudammengefasst sollen mit diesem Teilprojekt also aus speziesübergreifenden experimentellen Paradigmen Modellvorstellungen entwickelt werden, die es ermöglichen, nicht-invasive EEG-Korrelate für ‚population spike bursts’ im somatosensorischen System des Menschen zu analysieren und zu den Antwortcharakteristika verschiedener kortikaler Einzelzelltypen in Beziehung zu setzen.

Beschreibung der ersten Periode
Beschreibung der aktuellen Periode