Sabine Meister, Annette Upmeier zu Belzen
Bestätigungstendenzen bei der Wahrnehmung und Interpretation von nicht-hypothesenkonformen Daten
Wenn Lernende in den naturwissenschaftlichen Unterricht kommen, besitzen sie bereits individuelle Vorstellungen und Erklärungen über naturwissenschaftliche Phänomene. Jedoch können diese Prävorstellungen zu naiven Erklärungsansätzen führen, welche mit der aktuellen wissenschaftlichen Theorie nicht übereinstimmen. Im Fach Biologie ist ein Beispiel für einen solchen naiven Erklärungsansatz die Balance-of-Nature Metapher, welche von Lernenden, aber auch Erwachsenen verwendet wird, um die Stabilität und Veränderlichkeit von Ökosystemen zu erklären (Hovardas et al., 2011; Sander et al., 2006; Zimmerman & Cuddington, 2007). Die prozesshafte Veränderung von naiven Prävorstellungen hin zu naturwissenschaftlich anerkannteren Vorstellungen wird mit der Conceptual-Change-Theorie beschrieben (Vasinadou, 2013). Eine Methode zur Induktion dieses Prozesses ist die Präsentation von nicht-hypothesenkonformen Daten. Diese von der Erwartung abweichenden Daten können von der Prävorstellung des/der Lernenden nicht erklärt werden, wodurch die Notwendigkeit für eine alternative Theorie geschaffen wird (Chinn & Brewer, 1998, 2001). Jedoch zeigen Studien, die das Antwortverhalten von Lernenden auf nicht-hypothesenkonforme Daten erforscht haben, dass Lernende dazu neigen, an ihren Prävorstellungen festzuhalten und die Tendenz zeigen, diese selbst im Licht von nicht-hypothesenkonformen Daten zu bestätigen (Chinn & Brewer, 2001; Hemmerich et al., 2015; Mason 2001). Aus dem Antwortverhalten ableitbare Bestätigungstendenzen können sowohl bei der Wahrnehmung als auch der Interpretation der Daten auftreten (Knöner, 2014). In bisherigen Untersuchungen wurden vorrangig kurze schriftliche Textsegmente verwendet, welche den Proband_innen als Daten präsentiert wurden (Chinn & Brewer, 1998; Hemmerich et al. 2015; Mason, 2001). Derzeit gibt es kaum Forschungsarbeiten, die das Antwortverhalten in Bezug auf numerische Daten betrachtet haben, beispielweise in Form von Liniendiagrammen. Diese sind jedoch eine gängige Repräsentationsform in Lehrbüchern und fachwissenschaftlichen Journals, um ökologische Sachverhalte darzustellen (Roth et al., 1999). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Auftreten von Bestätigungstendenzen, welche einen Konzeptwechsel beeinflussen können, beim Evaluieren von als Liniendiagramm dargestellten Daten zu untersuchen. Dafür wollen wir in Anlehnung an Hemmerich et al. (2015) untersuchen, inwiefern Lernende Daten in Abhängigkeit von der präsentierten Anzahl nicht-hypothesenkonformer Datensets wahrnehmen und interpretieren. Variiert wird hierbei das Verhältnis von hypothesenkonformen und nicht-hypothesenkonformen Datensets. In einer explorativen Studie werden zunächst die zugrundeliegenden kognitiven Prozesse bei der Aufgabenbearbeitung mit Hilfe von Eye-tracking und Lautem Denken untersucht. Die daraus gewonnenen Ergebnisse dienen als Grundlage für eine anschließende schriftliche Befragung einer großen Stichprobe.