Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Biologie

 

Inga Ubben-Lother, Annette Upmeier zu Belzen

Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft - Modelle von und für Evolution


Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft sind Modelle von Hypothesen über evolutive Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Organismen und Modelle für die Generierung neuer Hypothesen (Mahr, 2008, 2009; Passmore, Svoboda Gouvea, & Giere, 2014). Im ersten Fall werden die Modelle als Medium verwendet, im Zweiten als Methode (Gilbert, 1991; Mahr, 2009). Entsprechend des Kompetenzmodells der Modellkompetenz (Grünkorn, Upmeier zu Belzen, & Krüger, 2013; Upmeier zu Belzen & Krüger, 2010) findet der Umgang mit Diagrammen phylogenetischer Verwandtschaft auf drei Ebenen statt: Beschreibung (Level I) und Erklärung (Level II) von Diagrammen phylogenetischer Verwandtschaft fallen hierbei unter den medialen Aspekt, die anspruchsvollere Verwendung zum Erkenntnisgewinn (Level III) unter den methodischen Aspekt. Im Gegensatz zur Wissenschaft werden in deutschen Schulbüchern der Biologie Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft überwiegend medial genutzt (Ubben, Nitz, Rousseau, & Upmeier zu Belzen, 2015). Dadurch wird die Förderung des Umgangs mit Modellen auf Modellkompetenzlevel III nicht unterstützt (Grünkorn, Upmeier zu Belzen, & Krüger, 2013; Upmeier zu Belzen & Krüger, 2010).
Die Repräsentationskompetenz der meisten Schüler_innen und Student_innen ist oft auf so einem niedrigen Level, dass Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft gar nicht oder nur oberflächlich genutzt werden (Halverson & Friedrichsen, 2013). Die Fähigkeit, Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft zu interpretieren und mehrere Diagramme miteinander zu vergleichen (tree reading) ist nur schwach ausgeprägt (Halverson, 2011).
Obwohl Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft höchst visuelle Repräsentationen sind, wurde deren visuelle Wahrnehmung bisher nur in einer einzelnen Studie untersucht (Novick, Stull, & Catley, 2012). Unsere Studie beschäftigt sich daher mit der Frage, wie Diagramme phylogenetischer Verwandtschaft visuell wahrgenommen werden und inwiefern die visuelle Wahrnehmung mit der verbalen Argumentation übereinstimmt. Aus dem Modellcharakter der Diagramme und deren Verwendung als Medium bzw. als Methode ergibt sich außerdem die Frage, ob es Unterschiede in der visuellen Wahrnehmung und dem verbalen Argumentation gibt, je nachdem, in welchem Szenario das Modell verwendet wird. Dazu werden Masterstudierende des Lehramts Biologie aus Berlin untersucht, die an der Schwelle zwischen eigener Ausbildung und dem Eintritt in den Schuldienst stehen. Mithilfe des Eyetracking-Verfahrens werden ihre Blickbewegungen (fixations, scan paths) beim Bearbeiten von Multiple Choice-Items zu Diagrammen phylogenetischer Verwandtschaft aufgezeichnet. Nach jeder Aufgabe erfolgt Lautes Denken, bei dem die Teilnehmenden ihre Aufgabenlösung mündlich begründen (verbale Argumentation). Der Einfluss des Modells als Medium oder Methode wird untersucht, indem die Blickbewegungen und die verbale Argumentation in einem medialen bzw. methodischen Aufgabenkontext erfasst werden. Die verbale Argumentation wird dabei anhand der sieben Level von Repräsentationskompetenz nach Halverson und Friedrichsen (2013) codiert.
Das Verständnis und der Umgang mit Diagrammen phylogenetischer Verwandtschaft als Modelle von und für evolutive Verwandtschaftsverhältnisse hängen untrennbar mit dem Verständnis des Evolutionskonzeptes zusammen (Omland, Cook, & Crisp, 2008). Trotzdem ist bisher wenig darüber bekannt, wie diese Diagramme verarbeitet werden. Unsere Studie wird daher dazu beitragen, die Prozesse beim tree reading besser zu verstehen und so das Unterrichten von Diagrammen phylogenetischer Verwandtschaft zu verbessern.